Das erste Jahr rot-grüner Asienpolitik: Bilanz und Perspektiven

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von Sven Hansen

"Der erste Fehler in der China-Politik der Bundesregierung war und ist, daß sie durch ihr Verhalten, der Bundeskanzler vorneweg, den Diktatoren in Peking signalisiert, sie hänge ihre Prinzipien angesichts der Verlockungen des riesigen chinesischen Marktes weit in den Hintergrund. (...) Politisch signalisiert die Bundesregierung Peking durch ihr Verhalten den Vorrang von Geschäft vor Menschenrechten, und das hat schlimme Konsequenzen." Dies schrieb der heutige deutsche Außenminister Joschka Fischer am 26. Juni 1996 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Fischer war damals Fraktionssprecher der Oppositionspartei Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

Die Beziehungen mit Peking befanden sich wegen einer Tibet-Resolution desBundestages gerade auf dem Tiefpunkt. Fischer charakterisierte damals Bonns Chinapolitik nicht nur treffend, sondern hätte mit den gleichen Worten zum Beispiel auch die deutsche Politik gegenüber Indonesien exakt getroffen. Leider hat sich die deutsche Asienpolitik kaum geändert, seit Fischer im Oktober 1998 Außenminister der ersten rot-grünen Bundesregierung wurde.

Dabei gab es zunächst einige ermutigende Zeichen: So empfing Fischer anders als sein Amtsvorgänger Klaus Kinkel den chinesichen Dissidenten Wei Jingsheng in seinem damaligen Bonner Amtssitz. Auf die prompt folgenden Proteste aus Peking reagierte der deutsche Regierungssprecher mit den selbstbewußten Worten, die Regierung kenne keine Denkverbote. Fischer betonte nicht nur mehrmals gegenüber China und zum Beispiel auch auf dem Berliner ASEM-Außenministertreffen im März 1999 die Wichtigkeit der Beachtung der Menschenrechte, sondern richtete selbst erstmals das Amt eines Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung in seinem Ministerium ein.

Doch dieser beklagte sich schon wenige Monate später, daß er in die Planungen der China-Reise des Bundeskanzlers im Mai 1999 überhaupt nicht einbezogen worden war [China-Reise: "Clinton als Vorbild", Interview mit Gerd Poppe, in: Spiegel Nr. 18, 3.5.1999]. Heute scheint das mit dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Gerd Poppe besetzte Amt, das nur über minimale Personal- und Sachmittel und keinerlei institutionelle Macht verfügt, weitgehend eine Alibifunktion zu haben. Ein kleiner Erfolg ist, daß zur Erstellung der Lageberichte des Auswärtigen Amtes jetzt erstmals Menschenrechtsorganisationen konsultiert werden sollen. Die Berichte, die vor allem bei Asylverfahren in Deutschland eine Rolle spielen und für die Außenpolitik gegenüber diesen Ländern weniger relevant sind, sollen allerdings weiterhin nicht öffentlich sein. [Pit von Bebenverg: Menschenrechtler als Berater, in: Frankfurter Rundschau, 29.7.99]

Trotz Fischers Worten gegenüber China folgten bisher keine entsprechenden Taten. Die China-Politik der Bundesregierung blieb phantasielos und inkohärent. Im Februar 1999 gelangte ein internes Papier aus dem Auswärtigen Amt an die Öffentlichkeit, das von einem Versuch zur Verurteilung Chinas auf der jährlichen Tagung der UNO-Menschenrechtskommission in Genf dringend abriet [Andreas Landwehr: China bringt europäische Menschenrechtspolitik in Zwickmühle, dpa 5.2.99; Bonn will keine Verurteilung China in Menschenrechtskommission, dpa 5.2.99; Sven Hansen: Für China zieht Fischer die Samthandschuhe an, in: die tageszeitung 6./7. Februar 1999]. Es ist dort noch nie zu einer Verurteilung Pekings gekommen, wenngleich im Jahr 1995 nur eine Stimme fehlte.

Auch Indonesien wurde noch nie verurteilt. Man mag streiten, ob eine solche Verurteilung viel bringt. Doch zumindest müßte auf ein Consensus Statement mit die betreffende Regierung verpflichtenden Schritten hingearbeitet werden. Die Menschenrechtskommission gehört zu den internationalen Foren, die angesichts des drakonischen Vorgehens zum Beispiel der chinesischen Behörden gegen die Gründer der oppositionellen Demokratischen Partei oder der brutalen Unterdrückung des indonesischen Militärs in Aceh nicht ungenutzt bleiben sollten. Dinge beim Namen zu nennen sollte schon aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit eine Selbstverständlichkeit sein. Eine internationale Verurteilung schwerer Menschenrechtsverletzungen bzw. eine internationale Verpflichtung zu konkreten Schritten ist aber nur zu erreichen, wenn mit Überzeugungsarbeit langfristig darauf hin gearbeitet wird.

Dies versucht die neue rot-grüne Bundesregierung bisher leider so wenig wie die alte. Im Februar 1999 befragt, wie sie sich auf der im März jeden Jahres beginnenden Tagung der Menschenrechtskommission verhalten wolle, sagte der Außenamtssprecher, es sei noch nichts entschieden [dpa 5.2.99: Bonn dementiert Absicht zur Schonung China in Menschenrechtsforum; Sven Hansen: "Licht und Schatten" in China, in: die tageszeitung 8.2.99]. Die 15 EU-Staaten waren sich uneinig. Als damalige EU-Ratspräsidentin trieb die deutsche Regierung nichts voran, sondern hielt sich völlig bedeckt und damit letztlich so, wie das interne Papier zuvor empfohlen hatte. Erst als sich die US-Regierung unter dem Druck des Kongresses in letzter Minute doch noch zur Einbringung eines chinakritischen Resolutionsentwurfs entschied, zogen schließlich auch Deutschland und die anderen EU-Staaten mit. Doch da war das Scheitern vorprogrammiert. Statt eine langfristige Strategie zu entwickeln und diese beharrlich umzusetzen, hatte sich die Bundesregierung hinter Washington versteckt und ihr Fähnchen opportunistisch in den Wind gehängt.

In der europäischen Politik gegenüber Burma, Indonesien und Osttimor gehört Deutschland auch unter einer rot-grünen Regierung deutlich zu den Bremsern einer konsequenteren Menschenrechtspolitik. Im Fall Burma wurde dies deutlich, als im Februar 1999 die internationale Polizeiorganisation Interpol eine Anti-Drogenkonferenz in Rangun zusammen mit der Junta veranstalten wollte, die mit den Drogenbaronen im Goldenen Dreieck liiert ist. Während Menschenrechtsorganisationen darauf hinwiesen, daß Interpol damit den Bock zum Gärtner machen würde, war sich die deutsche Regierung der Brisanz der Konferenz zunächst nicht bewußt [Sven Hansen: Wertet Bonn Birmas Junta auf?, in: die tageszeitung, 13./14.2.99]. Andere europäische Regierungen hatten da schon abgesagt und die Konferenz kritisiert. Erst aufgrund des wachsenden Drucks entschied sich die deutsche Regierung zwei Tage vor der Konferenz auch noch für eine Absage [Sven Hansen: Konferenz in Birma ohne Deutsche, in: die tageszeitung, 19.2.99].

Völlig fatale Signale gehen von den deutschen Beziehungen zu Indonesien aus, die der grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, auch heute noch als "traditionell sehr gut" bezeichnet [Ost-Timor: Ludger Volmer sieht deutsch-indonesische Beziehungen in Gefahr, Deutsche Welle Presseerklärung 6.9.99]. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl hofierte den langjährigen Diktator Suharto persönlich, bezeichnete ihn öffentlich als "Freund" und ging mit ihm demonstrativ auf Angeltour wenige Wochen nachdem Megawati Sukarnoputri auf Anordnung Suhartos vom Vorsitz der Demokratischen Partei entfernt worden war. Dabei hatte es es mehrere Tote gegeben. Als Suharto auf dem Höhepunkt der Asienkrise im Februar 1998 unter den Druck des IWF geriet, versicherte ihm der damalige CSU-Finanzminister Theo Waigel Kredithilfen aus Deutschland.

Regelrecht als "German Boy" gilt der langjährige Suharto-Günstling, frühere Forschungs- und Technologieminister und Suharto-Nachfolger B.J. Habibie. Er spricht fließend deutsch, weil er in Aachen studiert und lange Jahre für den Rüstungskonzern MBB gearbeitet hatte. Habibie fädelte so manches deutsch-indonesische Rüstungsgeschäft ein, zum Beispiel die Lieferung einer ganzen Flotte ehemaliger Schiffe der DDR-Marine. Von 1986 bis Mitte 1996 erteilte die Bundesregierung 680 Exportgehemigungen für Waffen und Rüstungsüter nach Indonesien, wie der Wirtschaftsstaatssekretär Heinrich Kolb im August 1996 auf eine parlamentarische Anfrage der bündnisgrünen Abgeordneten Angelika Beer antwortete.

Bis zu Verhängung des viermonatigen Waffenembargos der EU auf dem Höhepunkt des proindonesischen Terrors in Osttimor ist keine Kursänderung der Rüstungsexportpolitik der rot-grünen Regierung zum Beispiel gegenüber Indonesien sichtbar geworden. Für Osttimor hatten die deutschen Regierungen immer nur Lippenbekenntnisse übrig. Deutsche Diplomaten beschwerten sich hinter vorgehaltener Hand über die Portugiesen, die mit ihrem Beharren auf einer Lösung der Osttimor-Frage Fortschritte im Verhältnis der EU zur ASEAN erschwerten. Druck auf Jakarta übten Bonn und später Berlin kaum aus. Erst als Habibie sich im Januar 1999 für eine "Konsultation" der osttimoresischen Bevölkerung entschied, schien die deutsche Regierung sich etwas stärker engagieren zu wollen.

Der Menschenrechtsbeauftragte Gerd Poppe reiste ebenso nach Dili wie der Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Friedensnobelpreisträger und Sprecher der osttimoresischen Unabhängigkeitsbewegung José Ramos-Horta wurde in Bonn von der Ministerin für wirschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, empfangen. Im Vorfeld des Unabhängigkeitsreferendums sagte die deutsche Regierung Hilfe zu. Doch später entpuppte sich diese fast nur als die regulären deutschen Beiträge im Rahmen der UNO und der EU. Deutschland entsandte nicht einmal die in Aussicht gestellten fünf zivilen Polisten und ein Ärzteteam. Während der Terror proindonesischer Milizen eskalierte, gab es von der deutschen Regierung kaum diplomatischen Druck auf Jakarta, sich an die mit der UNO und Portugal getroffenen Vereinbarungen zu halten. [Vergl. Monika Schlicher: Totale Sonnenfinsternis in der deutschen Außenpolitik, in: Watch Indonesia (Hrsg.): Indonesien Information, Berlin, Nr. 3/1999]

Der mit den traditionell guten Beziehungen verbundene größere Einfluß auf die indonesische Regierung wurde nicht genutzt. Vielmehr mußte das offizielle deutsche Schweigen schon fast den Eindruck der Duldung des indonesischen Verhaltens erwecken. Als der Terror der prodindonesischen Milizen und der indonesischen Soldaten nach Bekanntgabe der Ergebnisse des Unabhängigkeitsreferendums zu einer Politik des Völkermords wurde, kam von der deutschen Politik erst dann halbherziger Protest, als andere Regierungen schon erheblichen Druck auf Jakarta ausübten. Es dauerte sehr lange, bis Außenminister Fischer aufwachte. Allein die sozialdemokratische Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul hatte von vornherein eine klare Position und wies auf die Widersprüche einer Politik hin, die im Kosovo militärisch interveniere und es in Osttimor nur bei halbherzigen Appellen belassen wollte. Als schließlich die multinationale Schutztruppe Interfet zusammengestellt wurde, war Deutschland nur zu einem äußerst symbolischen Beitrag bereit.

Auch bei der Entsendung des angebotenen Sanitätskontingents der Bundeswehr ließ man erstmal viel Zeit verstreichen. Anders als in den letzten Jahren der Regierung Kohl, als deutsche Asienpolitik vor allem als politisch-hochrangige Flankierung wirtschaftlicher Markterschließung und als Marketing-Instument des Standortes Deutschland begriffen wurde, kann heute von einer rot-grünen Asien-Politik überhaupt nicht die Rede sein. Die Kohl-Regierung verabschiedete im Oktober 1993 immerhin noch ein eigenes Asien-Konzept [Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik: Asien-Konzept der Bundesregierung, Bonn, 20. Oktober 1993], mit dem sie verspätet auf den fernöstlichen Wirtschaftsaufschwung reagierte. Das Ziel war in Asien nicht den Anschluß zu verpassen.

In diese Zeit fällt auch die Gründung des Asien-Pazifik-Ausschußes der deutschen Wirtschaft durch deren Verbände (BDI, DIHT und OAV). Im November 1990 und im Juli 1993 hatte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eigene asienpolitische Konzepte formuliert [Wolf Preuss, BMZ-Beauftragter für Asien: Entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Asien, in: BMZ aktuell, Bonn, November 1990; Konzept für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit den Ländern Asiens, in: BMZ aktuell, Bonn, Juli 1993]. Zwar gab es 1994 Versuche, sowohl der SPD mit einem Asien-Kongreß [Titel: "Wirtschaft und Entwicklung in Asien"] im April in Hamburg und der Bündnisgrünen mit einem Kongreß ["Menschenrechte sind keine KINKELlitzchen - Außenpolitische Alternativen für ASEAN"] im September in Karlsruhe, ein eigenes Asien-Profil zu entwickeln. Während die SPD auf dem Kongreß keine eigenen Akzente setzte, sondern eine Fortsetzung der CDU/CSU/FDP-Asienpolitik unter eigenem Label anzustreben schien [Sven Hansen: SPD will Kontinuität in der Asien-Politik, in: epd-Entwicklungspolitik, Frankfurt/Main Nr. 11/1994 (Mai)], versuchte die von dem damaligen Europapolitiker Wilfried Telkämper organisierte Konferenz der Bündnisgrünen vor allem in der Frage der Menschenrechte Akzente zu setzen [Wilfried Telkämper: Grundlinen einer grünen Außenpolitik in Bezug auf Südostasien, Abschlußstatement auf der grünen Konferenz am 17. September 1994 anläßlich des EU-ASEAN-Außenministertreffens].

Seitdem haben weder die SPD noch die Grünen ihre Ansätze fortentwickelt. Die von ihnen inzwischen geführte Regierung hat nicht nur kein eigenes außen- und entwicklungspolitisches Konzept für Asien entwickelt, sondern noch nicht einmal das der Vorgängerregierung aktualisiert. Es scheint so, als würde sich die rot-grüne Regierung für Asien nicht interessieren. In beiden Parteien fehlen auch führendende Politiker mit persönlichen Bindungen in die Region. Der erste Schritt rot-grüner Asienpolitik wäre zunächst sich der Wichtigkeit der Region bewußt zu werden.

In Asien lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung, die sich anschickt, den verschwenderischen Ressourcenverbrauch und konsumorientierten Lebensstil der westlichen Industrieländer zu kopieren. Die in Asien eingeschlagenen Entwicklungswege werden für die globale Zukunft von entscheidender Bedeutung sein. Sie werden nicht nur wie keine andere Entwicklung den westlichen Industrieländern den Spiegel vorhalten, sondern auch dazu beitragen, daß sich der Reform- und Anpassungsdruck auf die Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme im Norden massiv erhöht. Asienpolitik ist globale Zukunftspolitik. Dabei müssen in einem gesellschaftlichen und kulturellen Dialog gemeinsame Wege gefunden werden, um aus den Fehlern der bisherigen Entwicklungen in Europa, Nordamerika und Japan zu lernen und eine Wiederholung dieser Fehler in Europa und Asien zu verhindern.

Im Mittelpunkt der Asienpolitik sollte ein gleichberechtigter Dialog stehen, der gleiche Maßstäbe hier wie dort anlegt und Perspektiven einer nachhaltigen ökologischen und sozialen Entwicklung entwickelt. Das politische Ziel rot-grüner Asienpolitik muß die Stärkung von Demokratie, Bürger- und Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit sein und damit die jeweiligen Zivilgesellschaften stärken. Demokratisierung kann nicht von außen erzwungen werden. Doch statt die bisherige Kumpanei mit den jeweiligen Eliten fortzusetzen, muß das Ziel rot-grüner Asienpolitik sein, die demokratischen und emanzipatorischen Kräfte der Gesellschaften zu stärken. Die Herausforderung besteht darin, im Spannungsverhältnis zwischen deutschen Exportinteressen (die angesichts von über 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland nicht außer acht gelassen werden können) und den menschenrechtlichen Prinzipien eine kohärente und konsequente Politik zu finden. Diese sollte statt auf kurzfristige Vorteile zu setzen prinzipientreu die Grundsteine für langfristig positive Entwicklungen auf der Basis glaubwürdiger Politik legen. Denn nicht die Erwähnung von Menschenrechten, sondern die Angst vor der eigenen Courage sind wirtschaftlich schädlich [Vergl. Marc Bela Steffens: Wer Schwäche zeigt, hat schon verloren. Die Bundesrepublik braucht politisch nicht zu kuschen, wenn sie mit China Handel treiben will, in: Die Zeit, 23.8.1996].

Über den Exporterfolg entscheiden in erster Linie nicht politische Kotaus, sondern konkurrenzfähige Produkte [Mathias Naß: Bonn im Kotau. Chinas Ministerpräsident als Handlungsreisender, in: Die Zeit, 8.7.94]. Eine kohärente Menschenrechtspolitik beginnt bereits in Deutschland. Wer in China die Verletzung der Menschenrechte kritisiert, kann aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht wie die Bundesregierung im Oktober 1996 Exportbürgschaften für den Drei-Schluchten-Staudamm in China geben. Denn für das umstrittene Großprojekt müssen in China mindestens 1,3 Millionen Menschen umgesiedelt werden, was nach allen Erfahrungen mit dem politischen System in China nicht in einem menschenrechtlich akzeptablen Rahmen, sondern nur mit Zwang möglich sein wird. Durch die staatliche deutsche Beteiligung an einem solchen Großprojekt wird der chinesischen Führung signalisiert, daß sich die Kritik an Chinas Menschenrechtssituation weniger an sie als an die deutsche Öffentlichkeit richtet.

Es gilt auch, deutsche Unternehmen von Sozialstandards und Verhaltenskodizes zu überzeugen und zum Beispiel den Import von Produkten aus Arbeitslagern und von Gefangenenarbeit zu ächten. Es muß in Deutschland klar gemacht werden, daß die These vom "Wandel durch Handel" weder einen zwangsläufigen Automatismus beinhaltet, noch die beteiligten Unternehmen und die Politik zur Passivität verdammt, sondern sie vielmehr aktiv zum Wandel beitragen und mit gutem Beispiel vorangehen sollten. [Vergl. Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Hans Bass, China: Welche Menschenrechtspolitik gegenüber einer Weltwirtschaftsmacht? Köln, März 1996] Die Entwicklungen in Indonesien und Osttimor 1998/1999 zeigen deutlich, daß die bisherige deutsche Politik gegenüber diesen Ländern gescheitert ist. In ihrem kurzsichtigen Opportunismus hat sie nicht nur die eigenen Werte und Prinzipien verraten, sondern auch den Interessen der Menschen hier wie dort schwer geschadet. Eine neue Politik muß langfristiger Denken und insofern realistischer sein, als sie die Dinge beim Namen nennt und beharrlich, prinzipientreu, aber nicht arrogant oder belehrend auf Veränderungen drängt. "Stille Diplomatie" kann dabei kein Mittel sein, da es sich jeder demokratischen Kontrolle entzieht.

Zu einer menschenrechts- und demokratieorientierten Asienpolitik gehört auch, daß sie sich selbst der öffentlichen Diskussion stellt. Für den Dialog mit diktatorischen Regimen werden klare und überprüfbare Kriterien benötigt, da die Gespräche sonst schnell zu einem Alibi werden können. Die hier skizzierten Vorschläge sind nur erste Schritte, die sich auf Ost- und Südostasien konzentrieren und um eine Südasien-Politik erweitert werden müssen. In Zusammenarbeit mit anderen Organisationen aus Europa und Asien sollten die Vorschläge diskutiert und konkretisiert werden. Denn zum Selbstverständnis einer anderen Außen- und Entwicklungspolitik sollte auch gehören, sie nicht den Regierungen und Politikern allein zu überlassen.

 

Sven Hansen ist Asien-Pazifik-Redakteur der tageszeitung (taz) in Berlin und Kolumnist des südkoreanischen Politmagazins Hankyoreh 21. Zuvor war er am Aufbau des Asienhauses beteiligt und Mitarbeiter im Philippinenbüro.

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Stand: 02. Juli 2004, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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