Kriegsgrüße aus Afghanistan. Im Süden des Archipels ist erneut eine US-Militärintervention im Gange

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Rainer Werning    

Der Autorist Publizist und Mitarbeiter des Rheinischen JournalistInnenbüro (Köln) mit dem Schwerpunkt Südost- & Ostasien Überblick über den Inhalt der
Zeitschrift südostasien 1/2002

Wer geglaubt hatte, nach Afghanistan gerieten »Schurkenregimes« wie der Irak und Somalia ins Visier der US-Streitkräfte, musste umdenken. Mitte Januar eröffneten die USA in den Philippinen die »zweite Front im Kampf gegen den internationalen Terrorismus«. Zum Entzücken des Militärs, doch zum Leidwesen der Zivilbevölkerung.

Teofisto Guingona war sauer. Der philippinische Vizepräsident und Außenminister, als Ex-Senator ein eloquenter Kritiker der US-Militärpräsenz im Lande, fühlte sich schnöde übergangen und mochte seinen Rücktritt nicht mehr ausschließen. Ohne konsultiert worden zu sein, wurden bis zum 30. Januar 660 US-amerikanische GIs — darunter 160 sogenannte Elitesoldaten der Green Berets und Navy Seals — auf den Inseln stationiert. Gemeinsam mit ihren philippinischen Kameraden ziehen sie in den Krieg. Dessen vorrangiges Ziel: Die auf Entführungen und Lösegelderpressung spezialisierte Abu Sayyaf-Gruppe (ASG) auf der Insel Basilan "auszumerzen". Ihr werden Verbindungen zu Osama bin Laden und dessen Al-Qaida-Netz nachgesagt. In der Sicht amerikanischer Militärstrategen gilt die ASG als eine von zahlreichen über ganz Südostasien verstreuten Terrororganisationen.
Kein Grund zur Panik, es handele sich lediglich um ein routinemäßiges gemeinsames US-amerikanisch-philippinisches Manöver unter dem Namen Balikatan (Schulter-an-Schulter), wiegelte Angelo Reyes ab. Der General ist im Kabinett von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo ein einflussreicher Hardliner. Während der nur kurzen Amtszeit des Ex-Schaupielers Joseph Estrada war Reyes Generalstabschef und einer der Architekten des "totalen Krieges" im Jahre 2000 gegen den Moro-Widerstand im Süden.
Heute ist der General Verteidigungsminister und faktisch mächtiger als seine Präsidentin, die verfassungsgemäß gleichzeitig auch Oberbefehlshaberin der philippinischen Streitkräfte (AFP) ist. Die wiederum sieht sich nach nur einjähriger Amtszeit mit großen Problemen und schwindender Popularität konfrontiert. Nicht nur die außerparlamentarischen Linken, auch kritische Stimmen im Kongress, sehen in ihr ein »Maskottchen des Militärs« und eine »Marionette des Yankee-Imperialismus«. Das Ende ihres ersten Jahres als Regierungschefin vermiesten Gloria nicht nur landesweite Protestaktionen und Demonstranten, die ihren Rücktritt und sofortigen Stopp der US-amerikanischen Einmischung im Süden des Landes forderten.
Ausgerechnet ein Amerikaner goss dann auch noch Öl ins antiamerikanische Feuer: Der aus Kansas stammende Senator Sam Brownback, Mitglied des US-amerikanischen Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, tat öffentlich kund, nach Afghanistan konzentriere sich der "weltweite Kampf gegen den Terror" nunmehr auf die Philippinen.

"Weltweiter Feldzug gegen den Terror"
Nach den Anschlägen vom 11. September gestaltet sich das bilaterale Verhältnis zwischen den Philippinen, der einstigen und einzigen US-Kolonie in Asien (1898-1946), und dem nach wie vor herrschsüchtigen transpazifischen Übervater in Nordamerika enger denn je. Bevor beispielsweise Bundeskanzler Gerhard Schröder von der »uneingeschränkten Solidarität« mit den USA sprach, hatte seine philippinische Kollegin längst die Parole von der »bedingungslosen Unterstützung« für Washingtons »Kampf gegen das Böse« ausgegeben. Diesen Gehorsam seines früheren kolonialen Subjekts sah Uncle Sam gern. Und in Manila verfolgt man mit der sonderbaren Neuauflage von Vasallentreue gleich mehrere Ziele — politisch, wirtschaftlich und militärisch.

Im Sommer 2004 stehen die nächsten regulären Präsidentschaftswahlen ins Haus. Die will die überaus fromme Katholikin Arroyo mit Glanz und Gloria gewinnen, profitieren davon nebst der einflussreichen katholischen Amtskirche doch auch gewichtige politische Seilschaften und Wirtschaftsclans in dem vorwiegend christlichen Land, die in der Präsidentin ihre Pfründe am besten gewahrt sahen und ihr schließlich zur Macht verholfen hatten. Um diese politische Perspektive und Patronage ging es auch bei Frau Arroyos erstem Staatsbesuch in den USA im November vergangenen Jahres. Unterstützung wurde ihr vom Kollegen George W. Bush und Militärs in Aussicht gestellt, wenn sich das beiderseitige Verhältnis wieder normalisiere und enger gestalte. Neben zugesicherter Wirtschafts- und Finanzhilfe wurde Manila eine militärische Soforthilfe, unter anderem in Form von AC-130-Kampfhubschraubern und 30.000 M-16-Gewehren, gewährt. Gesamtwert: Knapp 100 Millionen US-Dollar. Damit konnte die Präsidentin zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Über politische Rückendeckung aus den USA hinaus erfüllte sie dem Militär — mit dessen Unterstützung sie letztlich ins höchste Staatsamt gelangt war — den lang gehegten Wunsch nach Modernisierung seines Waffenarsenals.
Wenngleich die Jahrzehnte lang auf den Inseln unterhaltenen (und seinerzeit größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gelegenen) US-Militärstützpunkte Subic Naval Base und Clark Air Field nach dem Ende des Ost-West-Konflikts militärstrategisch an Bedeutung eingebüßt hatten, hat man es in Washington als »unfreundlichen Akt« empfunden, dass nach einem entsprechenden Votum im philippinischen Senat im Herbst 1992 das Sternenbanner eingeholt wurde und die letzten GIs aus dem Land hinauskomplimentiert wurden. Zwar konnte — eine bemerkenswerte Kehrtwende — durch das ebenfalls vom philippinischen Senat später mehrheitlich abgesegnete und am 1. Juni 1999 in Kraft getretene Visiting Forces Agreement (VFA) wieder ein Modus Vivendi gefunden werden, der US-Truppen zu Manöverzwecken nunmehr explizit in 22 Hafenstädten willkommen heißt.
Doch das VFA sieht — wie übrigens der seit August 1951 zwischen beiden Ländern existierende Gemeinsame Verteidigungspakt (Mutual Defense Treaty, MDT) und die philippinische Verfassung von 1987 — einen unmittelbaren Kampfeinsatz US-amerikanischer Truppen auf philippinischem Boden nur im Falle einer äußeren Bedrohung beziehungsweise militärischen Invasion vor. Selbst auf dem Höhepunkt der staatlichen Aufstandsbekämpfung gegen die kommunistische Widerstandsbewegung Hukbalahap (1942 als Anti-japanische Volksbefreiungsarmee gegründet, später in Volksbefreiungsarmee umbenannt) in den vierziger und fünfziger Jahren operierten US-Militärs mehr verdeckt und durch den sogenannten Gemeinsamen US-Militärberaterstab (JUSMAG) als Koordinationszentrale für AFP-Einsätze gegen die Huks.

Haudegen
Nun wird Manila nicht müde zu beteuern, die US-Truppen würden nicht unmittelbar in Kampfhandlungen der AFP eingebunden. Sie dienten lediglich als Berater und Ausbilder, um mit Hilfe modernen militärischen Geräts die philippinischen Streitkräfte zu befähigen, Kampfhubschrauber mit Nachtsichtgeräten in dichtem Dschungelgebiet einzusetzen und damit die Aufstandsbekämpfung insgesamt effektiver zu gestalten. Dafür hätten Berater genügt.
Der Oberkommandierende des in Honolulu (Hawaii) stationierten US-Pazifikkommandos, Admiral Dennis C. Blair, war im November eigens nach Zamboanga gejettet, um die künftige Kooperation beider militärischen Verbände zu besprechen. Neben dem Chef des SouthCom, Generalleutnant Roy Cimatu, waren zumindest auf philippinischer Seite Generalstabschef Diomedio Villanueva, Verteidigungsminister Angelo Reyes und mit Roilo Golez der Sicherheitsberater der Präsidentin zugegen. Bei dieser Angelegenheit soll schließlich das kontroverse Mutual Logistics Support Agreement (MLSA) zustande gekommen und von Blair und Villanueva unterzeichnet worden sein.
Das MLSA, auch als zehnjähriges "Arrangement" bezeichnet, sieht eine umfassende Kooperation US-amerikanischer und philippinischer Truppen in den Philippinen auf sämtlichen Ebenen vor. Eine vage Formulierung: Militärs könnten damit einen aktiven Kampfeinsatz von GIs rechtfertigen. Politiker könnten dem entgegenhalten, das MLSA hätte, da es sensible Fragen der nationalen Souveränität berührt, im Kongress, zumindest im Senat vorgebracht und diskutiert werden müssen. Hitzige innenpolitische Debatten sind programmiert. Fakt ist bereits, dass unter dem Befehl von US-Brigadegeneral Donald Wurster und dem Banner des antiterroristischen Kampfes die militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern intensiviert und der einstige US-Luftwaffenstützpunkt Clark Air Field von amerikanischen Streitkräften ebenso genutzt wird wie die Flughäfen auf Mactan (Cebu) und Zamboanga City.
Gerade in Zamboanga und Basilan haben die amerikanischen Militärs vor einem Jahrhundert grausam gewütet. Für viele Moros liegen deshalb jetzt wieder die Nerven blank. »Sie (die Moros, Anm. d. Red.) sind ein grundlegend verschiedenes Volk«, hieß es beispielsweise im Jahresbericht 1903 des kommandierenden US-Generalmajors George W. Davis (Manila 1903, S. 261), »von uns unterscheiden sie sich in Gedanken, Worten und Taten, und ihre Religion wird eine ernste Hürde bei unseren Bestrebungen darstellen, sie im Sinne des Christentums zu zivilisieren. Solange der Mohammedanismus vorherrscht, kann der angelsächsischen Zivilisation nur mühsam der Weg geebnet werden.«

Und dann gegen MILF und NPA ?
Was in den Annalen der US-amerikanischen Militärgeschichte harmlos mit "Unterwerfung kämpferischer Moro-Stammeskrieger" oder mit "Bereinigung der Moro-Insurrektion" beschrieben ist, waren nichts anderes als Massaker an Zivilisten, in deren Verlauf gezielt Frauen, Kinder und ältere Personen niedergemetzelt wurden.
Solch kriminelle Untreue wie in Afghanistan, wo US-Bomber gelben Splitterbomben gelbe Nahrungsmittelpakete aus der Luft folgen ließen, wird sich in den Philippinen nicht wiederholen. Alles deutet auf einen mit US-Unterstützung geführten "Low-Intensity Conflict", einen "Krieg niedriger Intensität", hin, der freilich dann eskalieren wird, wenn neben der ASG bewaffnete Verbände der für Unabhängigkeit kämpfenden Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) und der von der Kommunistischen Partei geführten Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA) angegriffen werden. Nicht nur dass zwischen beiden Organisationen seit Ende 1999 eine enge Kooperation besteht. Beide haben seit Manilas "totalem Krieg" in Zentralmindanao im Sommer 2000, als sämtliche medialen Blicke auf den Geiselpoker in Jolo gerichtet waren, an Einfluss gewonnen. Das weiß auch Angelo Reyes. Und dennoch hat der General bereits die Katze aus dem Sack gelassen und die NPA als nächstes Ziel der gemeinsamen philippinisch-amerikanischen Militärstrategie markiert.
Auf Basilan unterhält die MILF nach eigenen Aussagen größere militärische Verbände, die, wie so häufig in dieser Region, gleichermaßen Querverbindungen mit der anderen Seite unterhalten oder mit ASG- oder AFP-Mitgliedern verwandt sind. Ein kleiner »Vorfall« kann leicht große Konsequenzen haben. Im unwirtlichen Zentrum der Insel spielen sich nebst tragischen auch komische Szenen ab. Da operieren auf der einen Seiten best ausgerüstete GIs mit hochmodernen Kommunikationsgeräten, die sie buchstäblich den Puls ihrer Kommandeure in Okinawa oder Hawaii spüren lassen. Andererseits, so haben Lokalreporter beobachtet, machen sich rotznasige Buben einen Jux daraus, eine zeitlang neben den hünenhaften "Joes" mitzumarschieren und sie mit Rufen "Osama ist hier. Bin Laden ist hier!" zu nerven.
Derweil haben die im niederländischen Utrecht lebenden Führungskader des Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front (NDF), Luis G. Jalandoni und José Maria Sison, Verteidigungsminister Reyes vorgeworfen, die unter der Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums in Oslo laufenden (zwischenzeitlich ausgesetzten) Friedensverhandlungen zu torpedieren. Damit, so warnten Jalandoni und Sison in separaten Presseerklärungen am 19. Januar 2002, wüchse die Gefahr eines Zweiten Vietnam. In Vietnam begannen die USA ihr Militärengagement zunächst mit der Entsendung sogenannter Berater, um dann schrittweise Kampftruppen nach Südostasien abzukommandieren und aufzustocken.

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Stand: 22. April 2002, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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